SPIEGEL ONLINE, 23.01.2005

Klassiker für wenig Geld: Der Reclam des Hörbuchmarkts

von Angelika Unger

"Sozialistisch", so nennt Norbert Jochmann die Philosophie seines HörGut-Verlags: Schiller und Kafka als Audiobook, zu Preisen, die sich jeder leisten kann. Mit seinen Taschen-Hörbüchern richtet sich HörGut vor allem an Schüler und Studenten - ganz wie das Vorbild Reclam.

SPIEGEL ONLINE - 23. Januar 2005, 09:54

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Norbert Jochmanns Augen hinter der Nickelbrille sehen müde aus. Als erstes entschuldigt er sich für das Brötchen, das er in der Hand hält: "Ich hatte noch keine Zeit zu frühstücken." Vor drei Monaten hat sich der 47-Jährige selbständig gemacht und den Hörbuch-Verlag "HörGut" gegründet. Sein Ziel: jungen Leuten klassische Literatur nahe bringen.

"Es ist eine sozialistische Idee", sagt Jochmann. "Ich liebe die Klassiker, und ich will, dass sie gelesen und gehört werden." Ein ehrgeiziges, ja beinah vermessenes Projekt, wie er freimütig zugibt: "Bei Goethe und Schiller gehen bei vielen Schülern die roten Warnleuchten an."

Jochmann ist aber überzeugt, dass ein mitreißender Vorleser auch schwierige Texte für Schüler interessant machen kann. Zweistellige Wachstumsraten im ansonsten stagnierenden Buchmarkt zeigen, dass das Trendmedium Hörbuch Käufer mobilisiert, die schon lange nicht mehr zum gedruckten Buch greifen. Allerdings sind die meisten Audiobooks für junge Leute zu teuer. Bei HörGut hingegen kostet ein Hörbuch 3,20 Euro, wenn die Lesung auf eine CD passt, Hörbücher mit zwei CDs sind für 4,80 Euro zu haben. Um die Kosten klein zu halten, kommt der HörGut-Verlag mit einem Drei-Mann-Team aus. Die Ware verpackt und verschickt Jochmann selbst, von seiner Altbauwohnung im Hamburger Stadtteil Winterhude aus.

Bei den Lesungen wird auf musikalische Untermalung oder Soundeffekte verzichtet, die CDs werden in preiswerten Papp-Verpackungen ohne Booklets geliefert. Jochmann nennt sie deshalb liebevoll "Taschen-Hörbücher". Der Vergleich seines Verlags mit Reclam macht ihn stolz.

Schiller und Kafka als Budgetproduktion

Mit sechs Titeln startete HörGut Anfang November in den Markt, darunter Kafkas "Verwandlung" und Schillers "Verbrecher aus verlorener Ehre". Von der Startauflage, 2000 Exemplare pro Titel, ist bereits rund die Hälfte verkauft. Mittelfristig peilt HörGut Auflagen zwischen 5000 und 10.000 Exemplaren an.

60 Buchhandlungen, vor allem in Hamburg und Berlin, führen bereits HörGut-Audiobooks, außerdem kann man sie online bestellen. Der Verlag will nun expandieren: Demnächst soll es die Budgetproduktionen in weiteren Großstädten und Universitätsstädten geben.

In Konkurrenz zu den großen Verlagen sieht Jochmann das Portfolio dennoch nicht: "Wir richten uns an ein anderes Publikum." Vor allem die Schulen will HörGut erreichen, deshalb sind alle Lesungen ungekürzt und jede CD enthält den Originaltext im pdf-Format. Mehrere Hamburger Schulen arbeiten bereits mit den Klassikern auf CD, außerdem prüft man derzeit in Hamburg und Schleswig-Holstein, ob die Hörbücher in die Bibliotheken aufgenommen werden sollen.

Frische Lesungen von renommierten Sprechern

Alle Hörbücher wurden eigens für HörGut eingelesen: "Wir wollen frische Lesungen für junge Leute anbieten - sie müssen bus- und joggingtauglich sein", sagt Jochmann. Um Archivware bemühe sich der deshalb Verlag nicht. Stattdessen hat der langjährige Drehbuchautor seine guten Kontakte zu Schauspielern und Synchronsprechern genutzt, um renommierte Vorleser zu gewinnen. Die Verwandlung etwa wird eingelesen von Martin May, bekannt aus "Das Boot" und aus TV-Krimiserien wie "Stubbe" oder "Tatort", den Schiller liest Stephan Schwartz, der unter anderem schon Tom Cruise und Adrien Brody synchronisiert hat.

Im Februar erscheinen vier neue Titel, darunter Eichendorffs "Taugenichts". Nach und nach will Jochmann das Portfolio erweitern, auch Dramen und Lyrik sollen hinzukommen - der ganze Schulkanon eben. Ausgespart wird vorerst nur die neuere Literatur von Böll bis Grass - zwangsweise: Denn erst 70 Jahre nach dem Tod eines Autors gehören seine Werke zum Kulturgut, vorher sind happige Lizenzgebühren fällig. "Dazu müssten wir mit dem Preis hochgehen", erläutert Jochmann. Möglicherweise könnte genau das dem Verlag neue Abnehmer bescheren - einigen Buchhändlern in den schickeren Hamburger Vierteln waren die HörGut-Audiobooks bisher zu billig.